Berufsgeschichten: Dipl. Pflegefachfrau HF

Seit 2013 ist Natascha Marugg bei der Spitex Birseck im Einsatz. Die dipl. Pflegefachfrau HF ist fallführende Mitarbeiterin in der Pflege und während des gesamten Pflegeprozesses erste Ansprechsperson für unsere Klientinnen und Klienten. Sie gibt uns im folgenden Interview spannende Einblicke in ihren Beruf

Welche besondere Aufgabe übernimmt eine fallführende dipl. Pflegefachfrau HF?

Als eine von mehreren fallführenden Mitarbeiterinnen bin ich verantwortlich für die Sicherstellung und Umsetzung des gesamten Pflegeprozesses unserer Klientinnen und Klienten. Dabei koordiniere und plane ich den Pflegeprozess der mir zugeteilten Klientinnen und Klienten, unter Einbezug der Angehörigen, weiterer Bezugspersonen und externer Dienstleister. Darüber hinaus bin ich die erste Ansprechsperson der jeweils involvierten Mitarbeitenden in allen Angelegenheiten der zugeteilten Klientensituationen - vom Eintritts- bis hin zum Austrittsprozess.

Welche interne und externe Abläufe finden vor dem ersten Klienten-Einsatz statt?

Zunächst nimmt die Administration die Anmeldung entgegen. Diese erfolgen entweder direkt durch Klientinnen, Klienten oder Angehörige oder durch den jeweiligen Überweiser (Spital, Arzt,..) mit einem dazugehörigen Verlegungsrapport . Auch Anmeldungen und Anliegen von Klientinnen, Klienten oder Angehörigen gehen Die Informationen werden an unsere Planung (Disposition) weitergegeben. Die zu leistenden Ersteinsätze werden nun zunächst provisorisch geplant und koordiniert. Wir erhalten von unseren Planerinnen den Auftrag des Ersteinsatzes und die zu erwartenden Folgeeinsätze, sowie alle relevanten Klienten-Informationen.  

Was erwartet die Klienten beim Ersteinsatz der Spitex?

In der Regel wird eine Bedarfsabklärung getroffen. Bei akutem Handlungsbedarf erfolgt ein Ersteinsatz mit pflegerischen Eingriffen, wie beispielsweise Injektion oder Wundversorgung nach einem Spitalaustritt.
Im persönlichen Gespräch mit unseren Klientinnen / Klienten mit den Angehörigen bildet das Abklärungsgespräch das Fundament für alle weiteren Einsätze. Zur Verwendung der Bedarfsabklärung stützt sich die Spitex Birseck auf interRAI. Dies ist ein professionelles, international entwickeltes und auf die schweizerischen Verhältnisse angepasstes Instrument. Der individuelle Pflege- und Unterstützungsbedarf wird jeweils sorgfältig und nach höchstem Qualitätsstandard zielgerichtet abgestimmt. Die Klienten-Informationen fliessen in diesem Rahmen direkt in den Pflegeplanungs- und Qualitätssicherungsprozess mit ein.

Weshalb wird eine Bedarfsabkärung durchgeführt, wenn die wichtigsten Informationen bereits beim Zeitpunkt der Anmeldung vorliegen?

Zum Einen erhalten wir erfahrungsgemäss unzureichende Informationen zum Pflege- und Unterstützungsbedarf der betroffenen Menschen.
Zum Anderen nehmen wir unsere Klientinnen und Klienten – anders wie in einer stationären Institution in ihrem persönlichen Umfeld zu Hause wahr. 
Ausserdem kann sich der Bedarf zum Zeitpunkt des Abklärungsgespräches bereits geändert haben. Somit haben wir die Möglichkeit rasch und unmittelbar auf Veränderungen zu reagieren.
Das eingesetzte Gesprächs-Instrument interRAI ist darüber hinaus eine wichtige zielgerichtete Massnahme, um den individuellen Pflege- und Unterstützungsbedarf sorgfältig und nach höchstem Qualitätsstandard zu evaluieren.
Des Weiteren dienst die Bedarfsabklärung als ein Assessment, bei dem die physischen, psychischen und sozialen Befindlichkeiten und Defizite erfasst werden. Diese fliessen direkt in den Pflegeplanungs- und Qualitätssicherungsprozess mit ein.

 

Welche weiteren Arbeitsschritte werden vorgenommen?

Nach der erfolgten Bedarfsabklärung treffe ich alle nötigen Arbeits- und Planungsschritte. Es folgt die sogenannte «Beobachtungsphase». Diese dauert in der Regel zwei Wochen, kann aber je nach kognitiven oder physischen Veränderungen der Klientin / des Klienten variieren. Auf Grundlage eines Verlaufsberichts werden Klienteninformationen und weitere für die Versorgung relevante Beobachtungen detailiert erfasst und entsprechende wesentliche Vorbereitungen für die anstehenden Einsätze vorgenommen. Zum Beispiel folgen Planungsmassnahmen im Bereich Medikamentenmanagement und Übergabe an unsere Mitarbeitenden für die anstehenden Einsätze. Bei der Einsatzplanung ist ausserdem zu berücksichtigen, welche Mitarbeiter-Kompetenzen für den jeweiligen Klienteneinsatz erforderlich sind. Wichtig ist uns, unseren Klientinnen und Klienten Kontinuität und stets dieselbe Bezugsperson zur Verfügung zu stellen.

Meine fachlichen Kompetenzen sind neben der intra- und interdisziplinären Zusammenarbeit mit unseren Teams vor allem bei komplexen und spezifischen Klientensituationen gefragt. Im Fachbereich Onkologie übernehme ich Tätigkeiten, wie beispielsweise Infusionstherapie über peripher oder zentralvenös gesetzten Venenkathetern. Handelt es sich bei einem Einsatz allerdings um eine akute Wundinfektion, ziehe ich unsere Wundexpertin hinzu und erarbeite mit ihr und ggf. anderen externen Dienstleistern die weiteren nötigen Schritte. Je nach Bedarf ziehen wir punktuell hervorragend ausgebildete Fachpersonen hinzu, welche sich neben der Grund-, Behandlungspflege und Hauswirtschaft auf Schwerpunktthemen wie ambulante Psychiatrie, Demenz, Diabetes und Palliative Care spezialisiert haben.

Die erste Begegnung mit der Spitex – gibt es Hemmschwellen?

Bei der ersten Begegnung bringen wir unseren Klientinnen und Klienten äusserste Sensibilität und Verständnis entgegen. Einige Betroffene fühlen sich zunächst schutzlos und angreifbar, da  - im Gegensatz zu einer stationären Einrichtung - das Umfeld zuhause mit in die zu erbringenden Dienstleistungen einbezogen wird. Andere Klientinnen und Klienten wiederum fühlen sich in ihrem gewohnten Umfeld eher gestärkt. Ihr Zuhause gibt ihnen das Gefühl von Vertrautheit, Kontrolle und Selbstbestimmung. Das Eingeständnis, auf Unterstützung angewiesen zu sein, stellt sich zunächst meist als grosse Herausforderung für die Betroffenen dar.

Wie werden auftretende Hemmschwellen überwunden?

Zunächst lernen wir unsere Klientinnen und Klienten als Menschen in ihrem sozialen und persönlichen Kontext zuhause kennen. Wenn ich zum ersten Mal den Einsatzort betrete, stelle ich mich der Klientin und dem Klienten kurz vor, erkläre welche Funktion und Aufgaben ich habe und wie der Ablauf des heutigen Einsatzes sein wird. Jede neue Tür bedeutet für uns auch eine neue Lebensgeschichte, die wir nicht im Detail kennen müssen, aber die es dennoch zu respektieren gilt. Eine gemeinsame Vertrauensbasis zu schaffen ist massgeblich für einen optimalen Verlauf der nachfolgenden Einsätze. Wenn wir anfängliche Hemmschwellen wahrnehmen, nehmen wir diese ernst. Bereits während des Abklärungsgespräches bietet sich die Möglichkeit, Fragen zu klären und gemeinsam Lösungen zu finden. Die Beobachtungsphase bietet darüber hinaus die Möglichkeit eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und Raum zu schaffen für zwischenmenschliche und respektvolle Begegnung auf Augenhöhe.

Welche Bedeutung hat der soziale und persönliche Kontext einer Klientin / eines Klienten und inwiefern ist dieser für die zu erbringenden Dienstleistungen relevant?

In unsere Dienstleistungen beziehen wir auch die Angehörigen mit ein. Wir entlasten sie, indem wir bestimmte Aufgaben übernehmen. Zudem unterstützen wir sie, indem wir pflegerische Anwendungen zeigen und sie anleiten, diese nach Möglichkeiten selbst durchzuführen. Im Fokus unserer Arbeit steht, neben einer vorübergehenden Entlastung, die Autonomie der Klientin und des Klienten soweit wie möglich aufrecht zu erhalten, sodass ein möglichst langes selbstständiges Leben in ihrem vertrauten Zuhause gewährleistet werden kann. Wichtig dabei ist, ihre persönlichen Gewohnheiten zu respektieren sowie vorhandene Ressourcen wahrzunehmen und aufrecht zu erhalten.

Des Weiteren arbeiten wir eng mit externen Dienstleistern zusammen, die bei Bedarf als ein weiterer Bestandteil des sozialen Umfeldes der Betroffenen unterstützen können. Dieses Netzwerk ist wesentlich, um den Klientinnen und Klienten dabei unterstützen, so lange wie möglich zuhause zu bleiben.

Das Zuhause gibt unseren Klientinnen und Klienten das Gefühl der Geborgenheit, Sicherheit und Vertrautheit. Zu beobachten ist, dass sich Klientinnen und Klienten in ihrem gewohnten Umfeld besser auf den Genesungsprozess einlassen. Sie schätzen den Austausch mit uns, die Unterstützung durch unsere Dienstleistungen und lassen sich durch vertrauensvolle Gesprächsführung zu mehr Mobilität und Vitalität motivieren.

Welchen Vorurteilen sind Sie in Ihrem Beruf begegnet und weshalb bestätigen sich diese Ihrer Meinung nach nicht?

Hin und wieder begegne ich dem Klischee, die Spitex unterstütze lediglich betagte Menschen. Klientinnen und Klienten werden nachweislich früher aus Spitälern entlassen und wollen später ins Altersheim. Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt eine Tendenz zu mehr ambulanten und immer kürzeren stationären Eingriffen. Wir sind längst nicht mehr nur die Spitex für die ältere Bevölkerung. Wachsende Nachfrage unserer Dienstlesitungen erleben wir auch bei jüngeren Menschen und jungen Familien, die im Erwerbsleben stehen.

Um allgemeinen Vorurteilen entgegenzuwirken, ist es meiner Meinung nach wichtig Einwohnerinnen und Einwohner zu informieren, welche Angebote unsere Dienstleistungen umfassen. Durch wachsende Nachfrage und den gestiegenen Ansprüchen entstand in den letzten Jahren ein höherer Bedarf an Fachleuten und Qualitätssteigerung. Neben der Grund- und Behandlungspflege spezialisierten wir uns in den Bereichen Wundmanagement, Demenz, Diabetes, Onkologie, Palliative Care, ambulante Psychiatrie, Onkologie und Qualitätsmanagement. Kontinuierlich nehmen wir weiterhin an Schulungen teil und sind somit stets auf dem aktuellsten Wissensstand. 

Sie erwähnten eben die wachsenden Anforderung. Gibt es überhöhte Erwartungen seitens der Klientinnen und Klienten?

Die gestiegenen Anforderungen sind im Zusammenhang zu sehen mit gesellschaftspolitischen und rechtlichen Aspekten im Gesundheitswesen, steigenden Qualitätsansprüchen und Anforderungen an die Spitex als NPO im Bereich Wirtschaftlichkeit..

Wie bereits erwähnt sind auch die Ansprüche und Erwartungen der Klientinnen und Klienten gestiegen. Überhöhten Erwartungen begegne ich durchaus in meinem Arbeitsalltag. Dabei sind Erfahrung und Fingerspitzengefühl gefragt. Ich fühle mich in der Verantwortung, alle Anliegen der Klientinnen und Klienten wahr und ernst zu nehmen. Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sagen, dass kein Einsatztag wie der Andere ist. Wenn sich eine Klientin oder ein Klient nicht auf die geplante Pflege- und Unterstützungstätigkeit einlassen kann, da ihr oder ihm ein anderes persönliches Anliegen zu diesem Zeitpunkt wichtiger ist, muss dies respektiert und entsprechend thematisiert werden. Auch ist eine Klientin oder ein Klient nicht immer in derselben Verfassung oder im selben Gemütszustand. Im gemeinsamen Gespräch wird die Sachlage besprochen, nach einer konstruktiven Lösung gesucht und nach Möglichkeit zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt. Das weitere Vorgehen muss jedoch mit den gestzlichen Richtlinien und den Vorgaben der Spitex Birseck vereinbar sein. Es ist mir allerdings bisher stets gelungen mit Vorgesetzten und unserem Team einen Konsens zu finden, sodass sich alle Beteiligten wohl und angenommen fühlen.

Frau Marugg, was hat Sie damals motiviert in den Beruf bei der Spitex Birseck einzusteigen?

Ich bin ein Mensch mit Tatendrang. Mich fasziniert es, Herausforderungen anzugehen und Menschen in ihrem Genesungsprozess und in der Erhaltung ihrer jeweiligen Lebensqualität zu unterstützen. Die gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung der Klientinnen und Klienten, aber auch der Kolleginnen und Kollegen sowie die interdisziplinäre professionelle Zusammenarbeit motivieren mich in meinem Arbeitsalltag. Des Weiteren schätze ich, dass ich meine Kompetenzen bei der Spitex Birseck durch ein breites und spezifisches Schulungs- und Weiterbildungsangebot stetig erneuern und erweitern kann.

Herzlichen Dank für das spannende und eindrückliche Interview. Wir wünschen Ihnen weiterhin alles erdenklich Gute!

 

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